5a - Die Ausgangslage
Mein erster Kontakt mit einem für Kopfschmerzen zuständigen Arzt verlief nicht so, wie ich es gerne gehabt hätte. War ich doch darauf eingestellt, vor allem über auslösende Ursachen reden zu können. Dabei stand die Hoffnung im Vordergrund, über Vermeidungsstrategien und Therapien informiert zu werden, mit denen die damals schon recht dramatisch angestiegene Schmerzbelastung hätte verringert werden können. Doch diese Hoffnung erwies sich als vergebens. Nach einer weitgehend auf psychische Faktoren ausgerichteten Bestandsaufnahme widmete der Arzt dem Thema „Kopfschmerz als Folge häufiger Schmerzmitteleinnahme“ breiten Raum. An sich wäre das schon als „Ursachendenken“ zu werten. Doch wenn damit verbundene Ansichten wirklich Geltung haben sollten, dann müsste die Ergründung jener Ursachen Vorrang haben, die eine häufige Schmerzmitteleinnahme erst notwendig machen. In dieser Richtung geschah jedoch überhaupt nichts. Ebenso waren diesem Arzt Überlegungen fremd, wonach nicht nur Schmerzmittel, sondern auch andere Medikamente Kopfschmerzen verursachen können. Dabei litt ich damals vorwiegend unter Schmerzanfällen, die durch Novothyral, einem Schilddrüsen-Hormonpräparat, ausgelöst wurden (Auswirkungen – Die Schilddrüse). Dass mir dieser Umstand nicht längst schon selbst bewusst geworden war, lag wohl an meiner damaligen Naivität. Wäre mir doch nie in den Sinn gekommen, dass ein vom Arzt verordnetes Medikament derart massive Beschwerden zur Folge haben kann.
Nachdem ich vor diesem Arzt – zwangsläufig und hoffnungsvoll - mein Innerstes nach außen gekehrt hatte, bekam ich ein paar aus heutiger Sicht wenig sinnvolle Verhaltensregeln mit auf den Weg, sowie ein Rezept für Instenon Dragees. Mit Hilfe dieses Medikaments
sollten meine Blutgefäße im Gehirn so weit stabilisiert werden, dass die Anfallsbereitschaft geringer wird und damit auch die Schmerzbelastung. Doch was die Schmerzen betrifft, trat das genaue Gegenteil ein:
Schon bald nach der Einnahme der ersten Pille begann ein extrem heftiger und dazu noch völlig schmerzmittelresistenter Anfall. Beim Überdenken dieses Ereignisses wurde mir endlich klar, dass auch Medikamente Kopfschmerzen auslösen
können und dass auch das nach der Schilddrüsenoperation regelmäßig eingenommene Novothyral dazu gehören muss. Das Ausbleiben dieser spezifischen Anfälle nach dem Absetzen von Novothyral lieferte die erwartete Bestätigung. Instenon
hab ich danach verständlicherweise auch keines mehr eingenommen.
Mit dieser Erfahrung stieg die Hoffnung, dass auch Auslöser für die sonst noch auftretenden und von der Symptomlage her völlig anders gearteten Kopfschmerzen gefunden werden. Doch daraus wurde leider nichts. Wie sich zeigte, konnte auch keiner der auf die Novothyral-Problematik angesprochenen Ärzte eine nutzbringende Erkenntnisse daraus ableiten (s. Auswirkungen). Dass ich ein außergewöhnlicher Einzelfall sein könnte, dem nicht zu helfen war, schloss ich trotzdem aus.
In den darauf folgenden Wochen und Monaten setzte sich bei mir die Ansicht durch, dass es zumindest einer ansatzweisen Vorstellung über die Hintergründe der Kopfschmerzen bedarf, um herauszufinden, weshalb die Ärzte nicht in der Lage sind, zur Besserung
meiner Beschwerden beizutragen. Wie ich zu einer solchen Vorstellung kommen sollte, war mir damals jedoch schleierhaft. Ein zufälliger Blick zum Bücherregal in einer Arztpraxis schien sich dann doch als Wegweiser anzubieten. Dort
sprang mir der Buchtitel „Die erfolgreiche Therapie des chronischen Kopfschmerzes“ ins Auge (U.H. Peters, perimed Fachbuch-Verlagsgesellschaft, Erlangen). Dabei wurde mir bewusst, um den wahren Grund des ärztlichen Unvermögens
heraus zu finden, musste ich erst mal deren Denkweise beim Umgang mit an Kopfschmerzen leidenden Menschen kennen lernen.
Das Büchlein (123 Seiten) war in der Buchhandlung rasch besorgt. Doch plausibel
scheinende Anweisungen für eine „erfolgreiche“ Therapie waren darin nicht zu finden – zumindest nicht von meiner Warte aus. Was ich indes fand, war die Bestätigung dafür, dass der von mir in Anspruch genommene Neurologe und Kopfschmerzspezialist
durchaus nach gängigen Mustern vorgegangen war. Damit bestärkte sich mein Verdacht, dass bei der Beurteilung chronischer Kopfschmerzen nicht ursachenbezogen gedacht und entsprechend vorgegangen wird. Das war für mich der Anlass,
eigene Bemühungen in die Wege zu leiten. Trotzdem wollte ich weiterhin versuchen, mit Hilfe der Ärzte eine Besserung zu erreichen.
Die Ziele meiner eigenen Bemühungen waren klar und sollten eine deutliche Verringerung der Schmerzbelastung mit sich bringen. Um darauf zu steuern zu können, musste ich erst mal eine gewisse Vorstellung darüber haben, welche Funktion der Kopfschmerz im
Organismus zu erfüllen hat. Steht doch außer Zweifel, dass der Schmerz an sich ein Schutzsignal darstellt, was auch für den Kopfschmerz Geltung haben müsste.
In diesem Sinne glaubte ich, im Abschnitt
über die Migränepersönlichkeit des genannten Buch einen Hinweis gefunden zu haben. Der darin aufgezeigten Ansicht, dass die aufgezeigten Persönlichkeitsmerkmale an der Ausbildung einschlägiger Beschwerden beteiligt sein sollen,
konnte ich jedoch nichts abgewinnen. Auch der Umkehrschluss, dass die ständige Schmerzbelastung eine derartige Formung der Persönlichkeit mit sich bringen würde, ließ sich mit meinem damals noch bescheidenen Erfahrungsstand nicht
in Einklang bringen. Damit hätte die Migränepersönlichkeit an sich schon ausgedient, was mittlerweile auch den geltenden Meinungen entspricht. Trotzdem konnte ich den Gedanken daran nicht beiseiteschieben und kam schließlich auf
die Idee, dass die eigentliche Funktion des Kopfschmerzes mit den Eigenheiten der Migränepersönlichkeit in einem Zusammenhang stehen muss.
5b - Die Migränepersönlichkeit
Meine Suche nach Anhaltspunkten für die Gültigkeit dieser Vermutung verlief dann aber wenig ermutigend. Für die angenommene Schutzfunktion sprachen höchstens meine Kopfschmerzen nach Alkoholgenuss und vielleicht auch jene in der Kindheit nach Stuhlverhaltungen.
Wovor aber sollten beispielsweise wetterbedingte Kopfschmerzen schützen und vor allem jene, die mir ab dem Beginn der Siebzigerjahre das Leben zunehmend zur Hölle machten?
Für die Existenz der Migränepersönlichkeit
sprach eigentlich nur, dass sich damit ein paar meiner Persönlichkeitsmerkmale erklären ließen, die irgendwie nicht ins Bild des Durchschnittsmenschen passen. Um es jedoch klar zu stellen, dabei ging's nicht um irgendwelche „psychischen
Schnickschnack“, wie er den von Kopfschmerzen betroffenen Menschen gerne angelastet wird, sondern um Erlebnisse im Kontakt mit Personen, deren Position in der Rangordnungsleiter über mir stand. Aber auch in zufällig zustande kommenden
Gruppen kam ich mir mitunter anders vor, als es normalerweise zu erwarten wäre. Es schien, als ob ich irgendwie eine Sonderstellung genießen würde.
In Bezug auf psychische Eigenheiten war ich mir sicher, dass viele Menschen
weit mehr von Zwängen und Komplexen gesteuert werden wie ich und mühsam erworbene Kompetenzen hüten, als wenn der Weiterbestand der Welt davon abhängig wäre. Ich hatte damit nie was am Hut und war trotzdem immer irgendwie „vorne
mit dabei“. Ohne diesen Umstand näher einordnen zu können, sah ich darin zumindest einen Hinweis, dass es einen funktionellen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und häufig auftretenden Kopfschmerzen geben könnte.
Meine Vermutungen gerieten aber recht bald - mangels weiterführender Erkenntnisse - aufs Abstellgleis. Erst als mir ein paar Jahre später klar geworden war, dass in der beruflich bedingten Formaldehydbelastung die eigentliche Basis meiner Beschwerden lag, bekamen meine Überlegungen zur Migränepersönlichkeit wieder neuen Schwung. Schon einige Zeit davor hatte ich begonnen, die Beobachtungen und die Ergebnisse meiner Recherchen schriftlich aufzuarbeiten. Beim Versuch, die Auslösevorgänge durch den bei mir belastungsbedingt fehlgeleiteten Formaldehydabbau zu beschreiben, drängte sich die Frage auf, ob es sich dabei vielleicht um grundlegende Kontrollvorgänge im Organismus handeln könnte, deren mögliche Funktion weiträumig überlegt werden muss.
Die chemische Einfachheit der beteiligten organischen Substanzen Formaldehyd, Methanol und Ameisensäure ließ auf sehr alte Kontrollvorgänge schließen, die möglicherweise schon während der Anfänge des Lebens ihren Dienst getan haben könnten, als es noch keine Nervensysteme und damit auch keine Gehirne und keine kontrollierenden Sinne gab. Ohne an dieser Stelle mit spekulativen Details jonglieren zu wollen, mit Hilfe solcher Kontrollmechanismen hätte es durchaus möglich sein können, auf ungünstige Lebensbedingungen in der Form zu reagieren, dass sich Fehlentwicklungen in gewissen Grenzen halten ließen.
Nachdem Umwelteinflüsse und Nahrungsangebot die Entwicklungsfähigkeit einer Art weitgehend mitbestimmen, müsste diese Kontrollfunktion immer dann aktiv geworden sein, wenn davon ausgehende Einflüsse den arttypischen Anforderungen nicht
gerecht werden konnten. Zu erwarten wäre, dass Mechanismen dieser Art bei fortgeschrittener Spezialisierung einer Spezies nicht mehr gefordert sind und deswegen in den Hintergrund treten. Das könnte auch einer der Gründe sein,
warum auf eine bestimmte Nahrung spezialisierte Arten nicht fähig sind, sich einer veränderten Umwelt und einem dadurch veränderten Nahrungsangebot anzupassen.
Daraus ergibt sich der Umkehrschluss, dass diese Kontrollmechanismen
umso besser funktionieren müssen, je flexibler eine Spezies aus einem größeren Nahrungsangebot wählen und sich damit auch veränderten Ernährungs- und Umweltbedingungen anpassen kann.
Eine solche Flexibilität bedeutet zumindest in den Grundzügen auch Lernfähigkeit und Kreativität bei der Nahrungsauswahl, wodurch die Funktion eines bis dahin nur auf zellulärer Ebene wirksam werdenden Kontrollsystems nicht mehr ausreichend sein konnte, um ungünstiges Verhalten bei der Nahrungsauswahl in Grenzen zu halten. Damit wurde es notwendig, die Signale dieses Kontrollsystems ins Bewusstsein vordringen zu lassen. Was sollte näher liegen, als dafür die bewährte Schutzfunktion des Schmerzes um eine spezifische Variante reicher werden zu lassen und für dessen Auftreten die Nähe jenes Bereiches zu wählen, in dem die Verarbeitung von Signalen – sprich dem Gehirn - angesiedelt ist?
Nachdem nicht nur die Menschen, sondern auch Menschenaffen von Kopfschmerzen betroffen sein können, dürfte die Ausweitung dieser Kontrollfunktion in den Wahrnehmungsbereich spätestens dann begonnen haben, als sich eine Gruppe früher Säuger aufgemacht hat, den Grundstock für die Entwicklung der heutigen Primaten und damit auch von uns Menschen zu legen. Mit einer um dieses spezifische Schmerzempfinden erweiterten Kontrollfunktion sollte es von da an möglich gewesen sein, ausgedehntes Fehlverhalten bei der Nahrungsauswahl in der Form zu vermeiden, dass davon ausgehende, langfristig schädigende Entwicklungseinflüsse schon frühzeitig umgangen werden konnten.
Anhand der Beschaffenheit von Gebiss und Darm lässt sich erkennen, dass Menschen und Menschenaffen gleichermaßen Gemischtköstler sind. Damit gehört Fleisch ebenso in deren Ernährungsplan wie pflanzliche Nahrung. Bei oberflächlicher Betrachtung wäre vorstellbar, dass das vermutete Kontrollsystem immer dann aktiv werden muss, wenn das vielleicht notwendige Gleichgewicht zwischen Fleisch und pflanzlicher Nahrung nicht eingehalten wird. Geben doch nicht wenige Kopfschmerzbetroffene an, unter anderem dann Anfälle zu erleiden, nachdem sie über das gewohnte Maß hinaus Fleisch gegessen haben. Umgekehrt soll es bei rein pflanzlich ausgerichteter Ernährung ebenfalls Menschen geben, die unter Kopfschmerzen leiden müssen.
Nimmt man jedoch die grundlegenden Eigenschaften von tierischer und pflanzlicher Nahrung näher in Augenschein, liegt eher die Vermutung nahe, dass der Schwerpunkt der erwarteten Kontrollfunktion weitgehend auf die Auswahl pflanzlicher Nahrung ausgerichtet
gewesen sein muss:
Fleisch besteht aus vorwiegend reinen Nährstoffen, während beim Verzehr pflanzlicher Nahrung auch funktionstüchtige Wirk- und Botenstoffe mit in den Organismus gelangen. Dabei sei
an heilende Bestandteile von Pflanzen ebenso gedacht wie an deren Gifte. Der Bogen dazwischen spannt sich weit und es gibt Bereiche, in dem die ungünstigen Eigenschaften solcher Inhaltsstoffe überwiegen, ohne jedoch unmittelbar
giftig zu sein. Die Fähigkeit, solche Einflüsse zu erkennen und damit einer langfristig schädigenden Wirkung aus dem Weg zu gehen, war für eine zusehends sensibler werdende Spezies unerlässlich. Damit ließ sich die Existenz des
einzelnen Individuums und dessen Leistungsfähigkeit sowie der Fortbestand der Art und deren Weiterentwicklung gewährleisten.
Bei oberflächlicher Betrachtung mag das vielleicht übertrieben klingen, sieht aber schon nach einem Seitenblick zu wild lebenden Primaten ganz anders aus. Einschlägigen Quellen ist zu entnehmen, dass erwachsene Orang-Utans in den noch verbliebenen Regenwäldern von Sumatra und Borneo zumindest an die 1.000, möglicherweise sogar weit mehr Pflanzen oder deren Bestandteile zur Nutzung als Nahrung oder Heilmittel kennen. Damit wird schon klar, dass es vor allem dann, wenn Lebensräume sich verändern, mehr als nur rudimentärer Erfahrungen bedarf, um eine zumindest annähernd optimale Auswahl an pflanzlicher Nahrung treffen zu können.
Jene Gruppen von frühen Primaten, in denen zumindest ein Mitglied fähig war, von ungünstigen Inhaltsstoffen pflanzlicher Nahrung ausgehende Einflüsse zu erkennen, bevor durch den wiederholten Verzehr gesundheitliche Nachteile spürbar werden konnten, waren zweifellos im Vorteil. Dieser Vorteil konnte allerdings nur dann zum Tragen kommen, wenn das betreffende Individuum innerhalb der Gruppe über eine ausreichende Akzeptanz verfügte, um deren Verhalten im Bedarfsfall entsprechend beeinflussen zu können.
Daraus die Vorstellung abzuleiten, dass es sich bei derart sensiblen Individuen um die fernen Urahnen heutiger MigränikerInnen gehandelt haben muss, ist recht nahe liegend. Passend dazu beschreibt U.H. Peters („Die erfolgreiche Therapie des chronischen
Kopfschmerzes“ - wie weiter oben erwähnt) die Migränepersönlichkeit nicht als nach oben strebend, sondern sie wird auf den Stufen der Rangordnung nach oben gedrängt, wo sie vorzugsweise als Nummer zwei in Erscheinung tritt. Des
Weiteren schreibt Peters, dass ein ideales Gespann entstehen kann, wenn die Nummer eins es versteht, die Empfindlichkeit „seiner“ Nummer Zwei in geeigneter Form zu berücksichtigen.
Abgeleitet von der
daraus erkennbar werdenden Aufgabe der Migränepersönlichkeit können deren Eigenheiten eigentlich nur der Rechtfertigung und der Festigung des innerhalb der Gruppe bekleideten Rangs dienen. Dazu zählen zweifellos Merkmale wie Gewissenhaftigkeit,
Ordnungsliebe und das Bemühen, jedem stets alles recht zu machen.
Zweifellos können die aus der Funktion der Nummer Zwei erwachsenden Entwicklungsvorteile für die Gruppe nur minimal gewesen sein. Trotzdem müssen diese Vorteile auf dem Weg der kleinsten Schritte über viele Generationen hinweg die eingeschlagene Entwicklung begünstigt und voran getrieben haben.
Über diese Gedankengänge hinaus begannen meine aus der Beschreibung der Migränepersönlichkeit abgeleiteten Überlegungen immer weitere Kreise zu ziehen. Die sich dabei ergebende Vorstellung von der Aufteilung der Gruppenführung auf eine dominante Führungspersönlichkeit und eine sensibilitätsgesteuerte Migränepersönlichkeit bei den früh- oder vormenschlichen Gruppen zog mich zusehends in ihren Bann. Einer der Gründe dafür war die Erkenntnis, dass diese Form der Doppelführung auch in „modernen“ hierarchischen Systemen seine Bedeutung kaum verloren hat. Vor allem aber gefiel mir, dass damit mehrere meiner bis dahin rätselhaften persönlichen „Rangordnungserfahrungen“ einer Erklärung zugeführt werden konnten. Wesentlich war aber auch, dass sich der von mir beobachtete Krankheitsverlauf geradezu optimal mit meinen Vorstellungen von der entwicklungsgeschichtlichen Funktion des Kopfschmerzes in Einklang bringen ließ.
5c - Hierarchien
Ergab sich bei den bisher geschilderten Überlegungen gewissermaßen eine Folgerung aus der anderen, war es etwas schwieriger, eine Vorstellung darüber zu finden, wie die Migränepersönlichkeit den nötigen Einfluss in der Gruppenhierarchie erringen konnte. Auf der Suche nach möglichen Anhaltspunkten ließ sich ein ausgiebiger Blick in Richtung der uns artgeschichtlich verwandten Menschenaffen nicht vermeiden. Wusste ich damals doch zumindest von Schimpansen, dass auch sie unter Kopfschmerzen leiden können. Bei meinen Recherchen erfuhr ich erstmals von der Existenz der Bonobos (Zwergschimpansen), die neben Orang-Utans, Gorillas und den schon genannten Schimpansen, als vierte Menschenaffenart gelten. Bonobo Gesellschaften werden – im Gegensatz zu denen der anderen Menschenaffen - von Frauenverbindungen dominiert. Die an Körperkraft überlegenen Bonobo-Männer haben gegen den Zusammenhalt ihrer Frauen keine Chance. Wesentlich dabei ist, dass in der Konfliktbewältigung die Sexualität eine große Rolle spielt, wodurch das Leben der Bonobos – im Vergleich zu den Schimpansen - recht friedfertig verläuft. Auch darüber hinaus wird bei den Bonobos weit mehr Sex praktiziert, als es für die Arterhaltung notwendig wäre. Bedeutsam für meine Überlegungen war, dass dabei keine Paarbindung erkennbar wird und dass alle Gruppenmitglieder Nachwuchs zeugen können.
Dieses Sexualverhalten der Bonobos eins zu eins auf die fernen Urahnen der Menschheit (Australopithecus) übertragen zu wollen, wäre nicht sinnvoll. Trotzdem muss es sich bei einem Teil dieser Spezies zumindest annähernd so abgespielt haben. Wie wir heute wissen, gingen aus dem Entwicklungszweig des Australopithecus zwei Unterarten hervor. Die robustere Variante ist vor rund einer Million Jahren ausgestorben. Aus der grazileren Unterart ging hingegen der Homo habilis hervor und damit in weiterer Folge auch der Mensch. Durchaus vorstellbar wäre, dass bei der robusteren Unterart nur die dominanten und erfahrensten Gruppenmitglieder Nachwuchs haben durften, wodurch nur die robustesten Gene vererbt wurden. Das muss dazu geführt haben, dass sich Anpassungsfähigkeit und Flexibilität nicht in den Maßen entwickeln konnten, wie es zur Bildung einer weiterführenden Art notwendig gewesen wäre.
Anders bei der grazilen Variante des Australopithecus: Die Fähigkeit sich anzupassen und die Entwicklung in eine „fortschrittliche“ Richtung zu lenken, kann nur durch eine genetische Vielfalt erreicht worden sein, die dann möglich ist, wenn sich alle erwachsenen Individuen an der Nachwuchsproduktion beteiligen können. Genau so läuft das heute auch beim „modernen“ Menschen und bei den Bonobos. Dass die damit erreichte genetische Vielfalt eine weniger robuste Konstitution und damit auch eine verringerte physische Leistungsfähigkeit bedeutet, können wir bei den Bonobos beobachten. Haben diese doch im Laufe ihrer Entwicklung gegenüber ihren nächsten Verwandten, den Schimpansen, einiges an Körpergröße und damit auch an physischer Kraft eingebüßt.
Mit der Entwicklung grazilerer Körperformen muss die Empfindsamkeit der Neugeborenen zugenommen haben. Damit war von den Müttern die Fähigkeit gefordert, auch dem weniger robustem Nachwuchs das Überleben zu sichern. Dass damals schon sensibler gewordenen Mütter am ehesten die notwendigen Fähigkeiten entwickeln konnten, ist anzunehmen. Damit übernahmen sie aber auch die Vorbildrolle, um weniger empfindsame Mütter zur Nachahmung anzuregen. In gleichen Maßen musste der Pflegeaufwand für den Nachwuchs über die Generationen hinweg zugenommen haben, während der Toleranzbereich gegen ungünstige Umwelt- und Nahrungseinflüsse kleiner wurde. Im Ausgleich dafür nahm die Fähigkeit zu, sich auf die unterschiedlichsten Bedingungen einzustellen und ungünstige Einflüsse auszugleichen oder sie zu umgehen. Mit solchen Eigenschaften gewappnete Populationen gingen aus den Stürmen der Zeit immer wieder um eine Spur anpassungsfähiger und kreativer, aber auch empfindsamer und verletzlicher hervor. Klimatische Veränderungen zwangen zu weiteren Höchstleistungen in Bezug auf Anpassungsfähigkeit und damit zur Entwicklung grundlegender kreativer Fähigkeiten.
Unter der Annahme, dass in den damaligen Gesellschaften die Funktion der Gruppenführung von Frauen wahrgenommen wurde, ist gut vorstellbar, dass die sensibleren unter ihnen, die den größten Beitrag zum Überleben des Nachwuchses beisteuern konnten, in der Hierarchie der Gruppe entsprechenden Einfluss gewannen. Damit musste die Aufteilung der Führungsrolle auf jeweils eine dominante und eine empfindsamere Persönlichkeiten ihren Anfang gefunden haben. Aber auch wenn die Gruppenführung von Männern wahrgenommen wurde, war es notwendig, für den Nachwuchs die bestmöglichen Bedingen zu schaffen, was am ehesten durch die Mitsprache zumindest einer sensiblen und damit auch kundigen Frau zu erreichen war.
Etwa vier Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung kam es zu klimatischen Veränderungen, in deren Folge die Wälder im Lebensraum des Australopithecus zurück gedrängt wurden. Unseren fernen Urahnen blieb dadurch keine andere Wahl, als wie die sich bildenden Savannen in ihren Lebensraum mit einzubeziehen. Die bis dahin erlangte Empfindsamkeit und die daraus hervorgegangene Anpassungsfähigkeit ermöglichten der damaligen Spezies, sich ausreichend auf diese neuen Gegebenheiten einzustellen. Der markanteste Anpassungsschritt dürfte gewesen sein, die bis dahin schon mögliche aufrechte Haltung zu perfektionieren und auf zwei Beinen zu gehen. Beweggründe mag es dafür mehrere gegeben haben, doch wesentlich könnte das Bedürfnis gewesen sein, auf die von den Bäumen aus gewohnte Übersicht über das Gelände nicht völlig verzichten zu müssen. Damit wurden dann auch die Hände für verschiedene Verrichtungen frei, was sich nicht nur bei der Pflege des empfindlich gewordenen Nachwuchses bewährt haben muss.
Mit dem Leben in den neu entstehenden Savannen gab es keine Fluchtwege auf die Bäume mehr. Besonders Frauen mit ihrem Nachwuchs waren dadurch erhöhten Gefahren durch Angriffe von großen Raubtieren ausgesetzt. Dabei entstandene Verluste dürften recht hoch gewesen sein, weshalb die Intervalle zwischen den Geburten kürzer werden mussten. Es galt vermehrt Verletzte zu betreuen, was eine neue Aufgabe für Gruppenmitglieder war, die ihre Fähigkeiten schon bei der Nachwuchspflege unter Beweis stellen konnten. Vor allem für die grazilere Spielart des Australopithecus dürfte ein gefestigter Zusammenhalt innerhalb größerer Gruppen Bewährung gefunden haben. Dabei fiel den Männern eher die Verteidigung nach außen hin zu, während die Frauen mit dem Schutz des Nachwuchses gefordert waren. Als Folge dieser neuen Aufgabe für die Männer wäre vorstellbar, dass sich daraus ein zunehmendes Bewusstsein für den eigenen Nachwuchs und damit auch eine dauerhafte Paarbindung entwickeln konnte.
Alle diese Veränderungen mussten dazu geführt haben, dass die bis dahin weibliche Dominanz in der Gruppenführung auf die Männer überging. Im Gegensatz zu den auf Nahrungsauswahl und Nachwuchspflege ausgerichteten Führungsqualitäten der Frauen waren durch die neuen Gegebenheiten Fähigkeiten gefordert, die von den nicht unmittelbar durch Kinder belasteten Männern besser erfüllt werden konnten. Als Beispiel sei an die Abwehr von Raubtieren gedacht. Dabei war die bis dahin eher nur im Nahbereich unter Blickkontakt ablaufende Form der Kommunikation mit Hilfe von Lautäußerungen, die durch begleitende Mimik und Gestik unterstützt wurden, nicht mehr ausreichend, um sich über größere Distanzen eindeutig verständigen zu können. Bis dahin mehrdeutige Rufsignale mussten deshalb den jeweiligen Situationen und Erfordernissen entsprechend präzisiert werden, was ein wesentlicher Bestandteil der Sprachentwicklung gewesen sein dürfte.
Bei der körperlichen Unterlegenheit gegenüber größeren Raubtieren wäre es nahe liegend, mit Steinwürfen dagegen anzugehen. Doch geeignete Steine dürften nicht immer in Reichweite gewesen sein. Gut vorstellbar, dass die Urmenschen deshalb Vorräte davon
anlegten und dabei auch lernten, größere Steine zu zerkleinern. Ein in dieser Art gezielt vorbereiteter Waffengebrauch muss den Anstoß zur Entwicklung weiterer Gerätschaften geliefert haben. Aus der Verteidigung gegen Raubtiere
entwickelte sich die Jagd auf größere Tiere, womit der Fleischbedarf jeweils für längere Zeit gedeckt werden konnte. Durch die damit mögliche Ernährungsweise nahm das Hirnvolumen unserer Vorfahren zu, was für die intellektuelle
Leistungsfähigkeit bedeutsam war.
Die zunehmende Pflegebedürftigkeit des Nachwuchses schränkte den Bewegungsspielraum der Mütter weiter ein. Mehrfach oder ständig genutzte Lagerstellen dürften sich
nicht nur in diesem Zusammenhang besser bewährt haben, als wie täglich wechselnde Nachtlager. Die treibende Kraft für derartige Verbesserungen gingen sehr wahrscheinlich von den sensibleren Individuen aus, denn nur wer gegebene
Bedingungen als unangenehm empfindet oder darunter zu leiden hat, sucht nach Veränderungen. Aus diesem Grund nahmen auch die Bemühungen zu, Lagerstätten an Geborgenheit bietenden Orten möglichst behaglich einzurichten. Das Empfinden
von Kälte trug dazu bei, sich mit Tierfellen dagegen zu schützen. Die Erkenntnis, dass sich damit auch ein Schutz vor Verletzungen erreichen lässt, wird sich bald danach eingestellt haben. Die Kleidung oder Teile davon als Rangordnungssymbol
zu nutzen und damit gewissermaßen zu missbrauchen, dürfte einer der nächsten Entwicklungsschritte gewesen sein.
Inzwischen waren seit dem Verlust des Waldes als Lebensraum gut zweieinhalb Millionen Jahre vergangen. Klimaverschiebungen und damit weitere Veränderungen des Lebensraumes dürfte es während dieser Zeit mehrmals gegeben haben. Wir können uns sicher sein, jede dieser Veränderungen lieferte neue Herausforderungen und damit auch Chancen, um neue Erfahrungen zu sammeln und damit schon vorhandene Fähigkeiten weiter zu perfektionieren. Die vielen kleinen Anpassungen und Erweiterungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit, die sich daraus ergaben und die eine Entwicklung zum modernen Menschen möglich machten, mussten eher unmerklich und unbewusst für die davon Betroffenen zustande gekommen sein. Solche Veränderungen konnten demnach erst über viele Generationen hinweg erkennbar werden. Aus der zierlichen Spielart des Australopithecus war dabei der Homo erectus hervor gegangen, der als direkter Vorfahre des Homo sapiens und damit des modernen Menschen gilt.
5d - Die Nutzung des Feuers
Bis bei zufälligen Begegnungen nach Blitzschlag oder Selbstentzündung die erwachende Neugierde der frühen Menschen ausreichend groß geworden war, um die Ängste zu überwinden und sich dem Feuer zu nähern, dürfte es recht lange gedauert haben. War dieser Schritt dann aber getan, konnte zumindest der zeitweisen Nutzung des Feuers nicht mehr viel im Wege stehen. Dabei ist zu erwarten, dass der Zeitraum, bis alle Populationen soweit waren oder durch Informationsaustausch und Nachahmung das Feuer zu nutzen verstanden, recht lang gewesen sein muss. Zudem dürfte viel Zeit vergangen sein, bis eine wirklich kontrollierte Nutzung durchgehend möglich war. Mussten doch erst Techniken erfunden werden, um selbst ein Feuer entfachen und dauerhaft in Gang halten zu können.
Interessant finde ich dazu die Darstellung in einer TV-Dokumentation mit dem Titel „Geheimnis Mensch“ (ZDF – 2003). In der recht eindrucksvoll gestalteten Dokumentation ist eine der beispielhaft dargestellten Episoden unverwischbar in meinem Gedächtnis
haften geblieben:
Ein Gruppe früher Menschen näherte sich gestikulierend einem durch Blitzschlag ausgelösten Brandherd, hielt aber einen großen Respektabstand ein. Aus dieser Gruppe heraus löste sich
dann ein männliches Wesen und ging – offenbar zwischen Angst und Neugierde hin und her gerissen - auf den Brandherd zu, um das Feuer näher in Augenschein zu nehmen. Für mich war damals schlagartig klar, dass der im Film von seinen
Kameraden als „der Denker“ bezeichnete Typ meinen Vorstellungen vom frühen Migräniker entsprach.
Nicht dass ich diese Szene unbedingt als geschichtlich authentisch gelten lassen will, doch bemerkenswert ist es schon, dass der Drehbuchautor für diese Szene eine Figur eingesetzt hat, die sich nicht bedenkenlos in ein Abenteuer stürzt, sondern als "der Denker" im Bestreben handelte, Vorgänge zu analysieren und zu begreifen. Demnach muss die Rolle einzelner Artgenossen in unseren Hinterköpfen irgendwie präsent sein, die mit spezifischem Denken und Handeln mehr für die Entwicklung unserer Spezies beigesteuert haben, wie draufgängerisch ausgerichtete Alphapersönlichkeiten.
Für die frühen Menschen bedeutete die Nutzung des Feuers eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Wärme, Licht und Schutz vor Raubtieren waren Vorteile, die vermutlich schnell erkannt und genutzt wurden. Die Erkenntnis, dass am Feuer gegartes Fleisch besser zu verzehren ist wie in rohem Zustand, dürfte einer der nächsten Schritte gewesen sein. Gut vorstellbar, dass sich Feuerstellen bald zum Zentrum des Zusammenlebens entwickelten und zusätzlich eine weitere Verfeinerungen bei Gerätschaften und Werkzeugen mit sich brachten.
Doch die Nutzung des Feuers musste auch seine Kehrseite gehabt haben. Sind offene Feuer doch dafür bekannt, dass sie Schadstoffe an die Umgebungsluft abgeben. Ob Rußpartikel, oder durch unvollständige Verbrennungsprozesse entstehende Schadstoffe, gesundheitliche
Nachteile muss das für die frühen Menschen allemal bedeutet haben. Vor allem für den damals schon recht empfindlichen Nachwuchs, aber auch für die sensibleren Gruppenmitglieder muss das spürbar geworden sein. Dabei ist zu bedenken,
dass die frühen Menschen bis dahin weitgehend unbelastete Luft gewöhnt waren, ausgenommen in der Umgebung stark riechender Blütenpflanzen oder auch im Bereich eigener oder fremder Ausscheidungen.
Für
die sensibleren Artgenossen dürfte sich damals ein Zwiespalt aufgetan haben. Zweifellos kann erwartet werden, dass durch vom Feuer ausgehende Schadstoffbelastungen jene Schmerzsignale gehäuft zum Ausbruch kamen, die davor höchst
selten nach ungünstiger Nahrungsauswahl aufgetreten waren. Damit verloren während der langen Entwicklungsgeschichte gefestigte Erfahrungen ihre Gültigkeit. Das Vertrauen der Gruppe in ihre Migräniker ging verloren und auch die
Betroffenen selbst mussten in eine Phase der Verunsicherung geraten sein, aus der sie sich bis heute nicht befreien konnten. Ist es doch so, dass die Auslösersuche auch heute noch weitgehend auf feste Nahrungsbestandteile beschränkt
bleibt – sofern nicht von vornherein auf eine solche Suche zugunsten „psychischer Vermutungen“ verzichtet wird. Darüber hinaus werden höchstens noch alkoholische Getränke in die Überlegungen mit einbezogen. An Luftschadstoffe hingegen
will niemand denken und das wird am Beginn der Nutzung des Feuers nicht anders gewesen sein.
Beim Thema Auslösersuche denke ich auch an mein eigenes Verhalten. Waren meine Überlegungen doch etliche Jahre lang ausschließlich auf den Ernährungsbereich fixiert. Nicht dass diese Haltung völlig falsch gewesen wäre, aber die für mich wesentlichen Auslöser,
nämlich Formaldehyd und Zigarettenrauch, blieben dabei unbeachtet. Sofern ich überhaupt an den Tabakrauch dachte, sonnte ich mich in der Überheblichkeit, mit dem Rauchen aufgehört zu haben und Formaldehyd war kein Thema, weil ich
meinte, dass "man" das doch wissen müsste.
Darauf aufbauend ließe sich annehmen, dass das Erkennen von Auslösern üblicherweise nicht auf der rationalen Verstandesebene abläuft, sondern eher unbewusst
zustande kommt. Scheint auch nicht so abwegig zu sein, muss es diese Form der Wahrnehmung doch schon lange gegeben haben, bevor sich sprachorientiertes und damit präzises Denken entwickeln konnte. Bei den Annehmlichkeiten, die
das Feuer den frühen Menschen bot, ist durchaus vorstellbar, dass sich althergebrachte Wahrnehmungsformen gegen den feuerbejahenden Verstand nicht mehr durchsetzen konnten. Trotzdem mussten für die Zunahme der Schmerzsignale Erklärungen
gefunden werden.
5e - Die Psychiatriserung
An dieser Stelle meiner Überlegungen war ich an einem Punkt angelangt, der mich aus einer völlig anderen Richtung schon mehrfach beschäftigt hatte: In einschlägigen Büchern genau so wie in Lippenbekenntnissen ist stets davon die Rede, dass es sich bei
Migräne (und damit auch bei Kopfschmerzen) nicht um eine psychische Krankheit handelt. Trotzdem kam bei Gesprächen mit den damit befassten Ärzten stets der Eindruck auf, als Psychopath eingestuft zu werden. Dazu kam, dass auch
Menschen in meiner Umgebung keinen Hehl daraus machten, meine Beschwerden als psychisch bedingt und damit gewissermaßen als selbstverschuldet abzustempeln.
Nicht dass ich deswegen Komplexe bekommen
hätte, aber irgendwie störend empfand ich das schon. Darum dürfte schon verständlich sein, dass ich in meinen Überlegungen auch nach einem Grund für derartiges Verhalten Ausschau hielt. Dazu kam, dass sogar viele Betroffene mitunter
nicht ungern bereit sind, ihre eigenen Beschwerden als psychisch bedingt zu sehen. In der Summe dieser Eindrücke kann man durchaus von einer Psychiatrisierung des Kopfschmerzes sprechen, die in den Köpfen der Menschen verwurzelt
sein muss.
Die Vorstellung, dass diese Psychiatrisierung mit der Nutzung des Feuers ihren Anfang nahm, ist recht nahe liegend. Muss damals doch der Eindruck entstanden sein, dass die „Signale der Migräniker“ keinen Sinn ergeben. Die sensiblen Artgenossen konnten dem damit entstehenden Verlust ihres Ansehens nicht viel entgegen setzen, außer sich weiterhin für die Gruppe als nützlich zu erweisen. Diese Eigenschaft dürfte im Großen und Ganzen bis in die heutige Zeit erhalten geblieben sein. Dabei musste sich auch das Bewusstsein entwickelt haben, dass von allem, was nach Fortschritt aussieht, keine Beschwerden ausgehen können. Sollten trotzdem welche aufkommen, dann muss es psychische Gründe dafür geben.
Obwohl mit der Nutzung des Feuers der Ruf der sensibleren Artgenossen gelitten hatte, dürfte deren mitbestimmender Faktor bei der Gruppenführung erhalten geblieben sein – zumindest bei jenem Entwicklungszweig, dem wir unser Dasein verdanken.
Anders bei der weiter nördlich lebenden Variante, dem Neandertaler. Im rauen Klima der Eiszeiten waren deren Fähigkeiten zu wenig weit fortgeschritten, damit empfindsamere Artgenossen mit den harten Lebensbedingungen zurecht
kommen konnten. Dieser Umstand brachte zweifellos eine zunehmend robuster werdende Konstitution mit sich und eine verringertes Schmerzempfinden. Trotz dieser scheinbaren Vorteile sind die Neandertaler ausgestorben. Durchgesetzt
hat sich – wie schon einmal beim Australopithecus – der sensiblere und körperlich weniger robuste Entwicklungszweig.
5f - Bis in unsere Zeit...
Über die Generationen hinweg stiegen die Ansprüche an Kleidung, Behausung und Gerätschaft, wodurch die unterschiedlichen Fähigkeiten einzelner Individuen gefordert waren und damit auch weiter entwickelt wurden. Die sich nach und nach einstellende Vielfalt an Kenntnissen und Fähigkeiten dürfte zur Bildung größerer Gemeinschaften beigetragen haben, weil die notwendige Vielfalt der Fähigkeiten unter den ursprünglich relativ kleinen Gruppen nicht mehr ausreichend gegeben war. Damit begannen sich erste dörfliche Gemeinschaften zu bilden. Die spätere Vergrößerung solcher Gemeinschaften zu Städten und Staatsgebilden hingegen dürfte nicht aus entwicklungsbedingten Anforderungen zustande gekommen sein, sondern eher zur Befriedigung gesteigerter Machtbedürfnisse einzelner Führungspersönlichkeiten.
Trotzdem blieben ursprüngliche Gruppen als Teile größerer Gemeinschaften bis in die heutige Zeit erhalten. Deren Größe entspricht üblichen Freundeskreisen, einschließlich den dazugehörenden Familienmitgliedern. Die Führung der größer gewordenen Gemeinschaften oblag wahrscheinlich von Beginn an den dominanten männlichen Artgenossen. Fällt doch die Vorstellung nicht schwer, dass zumindest Frauen mit Kindern einen großen Teil ihrer Zeit und Energie für die nach wie vor anspruchsvoller werdende Nachwuchspflege aufwenden mussten und sich deshalb nicht um die Interessen und Bedürfnisse ganzer Gemeinschaften kümmern konnten oder wollten. Von da an dürfte auch die Position der sensiblen Co-Führung auf männliche Migränepersönlichkeit über gegangen sein.
Die in den vergrößerten Gemeinschaften überzählig gewordenen Migränepersönlichkeit suchten sich neue Tätigkeitsbereiche und traten als Schamanen und heilkundige Frauen in Erscheinung. Diese beiden Gruppen können nicht nur als Vorgänger der heutigen Priester- und Ärzteschaft gelten, sondern auch als die ursprünglichen Begründer von Wissenschaft und Forschung überhaupt. Auch die Ursprünge der Märchenerzähler, Gaukler oder Hofnarren früherer Jahrhunderte dürften im Migränikertum zu suchen sein.
Mit dem Bau von Städten und der Bildung von Staaten vergrößerten sich die Machtstrukturen, deren Anforderungen die Migränepersönlichkeiten nicht mehr gewachsen sein konnten. Waren ihre Positionen auf der Rangordnungsleiter doch nur innerhalb althergebrachter Gruppengrößen so viel wie vorgegeben. Das brachte zwangsläufig mit sich, dass ihr konstruktiv regulierender Einfluss innerhalb der neu gebildeten, großen Gemeinschaften und Machtstrukturen verloren ging.
Nicht unbedingt als Folge dieses Umstands, aber zumindest als dessen Begleiterscheinung war es möglich, dass die früher bewährten, althergebrachten Ordnungen und das friedliche Zusammenleben innerhalb vor- und frühmenschlicher Gemeinschaften unter die
Räder kamen. Damit setzte eine kriegerisch geprägte Entwicklung ein, deren begleitender wirtschaftlicher Fortschritt in unseren Tagen seinen Höhepunkt möglicherweise schon überschritten hat. Überbevölkerung, politische Verfolgung,
Emigration, Wirtschaftsflucht, Terror und Gewalt sind nahe daran, die Welt in einen Abgrund zu stürzen. Die ansteigende Kriminalität, die Häufung von Eigentumsdelikten, die fortschreitende Gewaltbereitschaft und betrügerischen
Bereicherungen im großen Stil sind zur Alltäglichkeit geworden. Die Umsätze bei Spekulationsgeschäften und der Geldhandel insgesamt haben Ausmaße erreicht, denen die Umsätze im Warenhandel weit unterlegen sind. Überbürokratisierung,
das rücksichtslose Streben nach Vergrößerung des Einflussbereiches, Wachstum, Macht und Gewinnoptimierung beherrschen die Szene. Mit verlogenen Parolen werden junge Männer und Familienväter in Schützengräben gezwungen, Menschen
gefoltert, vertrieben, von Kugeln durchbohrt, von Granaten und Bomben zerfetzt. Andere wiederum bereichern sich in großem Stil an der Produktion und am Vertrieb der dafür nötigen Waffen oder an Drogen, die nicht nur für jene, die
sie nehmen den physischen und psychischen Ruin bedeuten. Menschen dringen ein in fremde Lebensräume und bedienen sich dabei einer Rücksichtslosigkeit und Brutalität gegenüber den eigenen Artgenossen ebenso wie gegenüber der Tier-
und Pflanzenwelt, wie es keine andere Art auf dieser Erde jemals auch nur annähernd zuwege bringen konnte.
Der Umweltverschmutzung ist nicht Herr zu werden und Wissenschaftler streiten sich im Stil
von kleinen Jungs, ob nun die eine oder andere Belastung zu verkraften sei oder schon morgen den Untergang herbeiführen könne. Gleichzeitig nehmen Allergien zu, ebenso wie Kopfschmerzen, Autoimmunerkrankungen, Depressionen, und
viele andere Beeinträchtigungen des Wohlbefindens. Mangels Bereitschaft, sich die wahren Ursachen einzugestehen, wurde für daraus hervorgehende Erkrankungen der Begriff „psychosomatisch“ geprägt.
Gegen Antibiotika resistent
gewordene Keime machen geringste Erkältungen mitunter zum wochenlangen Problem. Die technischen Entwicklungen überschlagen sich und sind schon veraltet, bevor damit ausgestattete Produkte auf den Markt gelangen. Ausgefeilte Fachsprachen
vervollständigen das babylonische Sprachengewirr. Der sich vormals zur Vielseitigkeit spezialisierenden Menschheit droht die Aufspaltung in ein Scheuklappen tragendes Spezialistentum, wodurch umfassende, sachgebietsüberschreitende
Problembehandlungen immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich werden. Die Zeit selbst ist Mangelware geworden - trotz kürzerer Arbeitszeiten, gesteigerter Mobilität und einer Menge technischer Einrichtungen. Beinahe alles wird
reglementiert, registriert, kontrolliert und trotzdem, das zunehmende Chaos auf allen Ebenen, in der Wirtschaft ebenso wie in der nationalen und internationalen Politik lässt sich nicht mehr in den Griff bekommen.
Die Welt ist ganz einfach aus den Fugen geraten. Die "Vertreibung aus dem Paradies" hat in aller Gründlichkeit stattgefunden. Die sensiblen Individuen, einst maßgeblich an der Entwicklung der Menschheit beteiligt, können der Geister, die sie einst riefen, nicht mehr Herr werden. Die Fäden sind ihnen längst aus der Hand geglitten. Was bleibt, sind die von ihnen wahrgenommen Schmerzsignale, die niemand mehr sinnvoll zu deuten vermag. Die Betroffenen stehen einer Anhäufung von Umweltbelastungen, einer denaturierten Ernährung und Einflüssen gegenüber, die den Bedürfnissen unserer Art niemals gerecht werden können und vor allem das Erkennen einzelner Auslöser beinahe unmöglich machen. Dass deswegen der physische und psychische Untergang der Menschheit unausweichlich sein sollte, mag vielleicht an den Haaren herbeigezogen sein, doch wie sollte er sich verhindern lassen?
5g - Abschließende Gedanken
Mit dem Aufwerfen dieser Frage war die schriftliche Aufarbeitung meiner nach und nach zustande kommenden Vorstellungen über Hintergründe und Wesen des „Phänomen Kopfschmerz“ abgeschlossen. Am Beginn dieser Arbeit hätte ich nie gedacht, dass sechs Jahre vergehen würden, bis mein an sich schon fertiges Denkmodell einigermaßen zufriedenstellend lesbar aufgearbeitet war. Eine Zeit lang hatte ich mich sogar schon mit dem Gedanken getragen, die Aufarbeitung abzubrechen und meine Webseite zum Thema Kopfschmerz überhaupt aufzulassen.
Etwa zu dieser Zeit kam ich durch einen Zufallsklick in einem Internetkatalog an das Buch „Lag Eden im Neandertal?“. Darin beschreibt der Autor Martin Kuckenburg unter anderem, wie sich im Laufe der Zeit, etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts, die Ansichten
in Bezug auf unsere Vorgeschichte gewandelt haben. Besonders interessant für mich war, dass schon bei den ersten Schilderungen „meine Migräniker“ durchaus ihre Daseinsberechtigung gehabt hätten. Mit sich laufend erneuernden Forschungsergebnissen
wurde es dann allerdings immer schwieriger, mein Denkmodell aufrecht zu halten. Erst gegen Ende des 20. Jahrhundert kamen dann neue Erkenntnisse auf, mit denen meine Vorstellungen wieder gut in Einklang zu bringen waren.
Dieser Umstand soll nicht als Beweis für die Gültigkeit meiner Vorstellungen gelten, waren die Übereinstimmungen doch eher nur „zwischen den Zeilen“ erkennbar geworden. Trotzdem erhielt ich dadurch neuen Auftrieb und fasste
den Entschluss, die ins Stocken geratene Aufarbeitung der Frage „Kopfschmerz - ein Werkzeug der Evolution?“ weiter zu verfolgen. Das Ergebnis dieser Aufarbeitung kann verständlicherweise nur in groben Zügen erklären, wie sich die
Entwicklung der Menschheit unter dem Einfluss ihrer MigränikerInnen abgespielt haben könnte. Trotzdem lässt sich daraus die Ansicht ableiten, dass wir durch ein optimales Zusammenwirken von Dominanz und Sensibilität aus den in
kleinen Gruppen lebenden Urahnen der Menschheit hervorgegangen sind. Ohne die damit möglich werdende Anpassungsfähigkeit und Flexibilität wäre jene den Menschen eigene und im bekannten Lebensraum einmalige Vielseitigkeit niemals
zu erreichen gewesen. Die während dieser Entwicklung bewährte Führungskonstellation lässt sich auch in den heutigen Machtstrukturen nach wie vor erkennen. Dabei sei beispielsweise an die Trennung von Exekutive und Legislative gedacht
oder an die christlichen Religionen, wo die „Migränikerkonstellation“ noch deutlicher sichtbar wird: Kennen wir doch alle die Lehre vom allmächtigen Gott und dessen Mensch gewordenem Sohn, der mit seinem Leiden und Sterben am Kreuz
die Sünden der Menschheit tilgen musste.
Nicht unter Einsatz des eigenen Lebens, aber doch mitunter recht krass leiden nach wie vor unzählige von Kopfschmerz oder Migräne betroffene Menschen zunehmend unter den eigenen Sünden und den Sünden derer, die Auslöser im Bereich Umwelt und Ernährung
als nicht existent betrachten. Mit dem offenbar erfolgreichen Bemühen der damit befassten Wissenschaftler lässt sich die Schuld an den erlittenen Beschwerden weitgehend den Betroffenen in die Schuhe schieben. Beim Ausarbeiten dafür
möglicher Varianten scheint die Kreativität unendlich groß zu sein, ebenso wie im „Erfinden“ von Vorgehensweisen, um experimentell die Unwirksamkeit jener Auslösern nachzuweisen, die von den meisten Betroffenen als solche erkannt
werden.
Dass Kopfschmerzen und Migräne vorwiegend dann zum Ausbruch kommen, wenn unsere artspezifischen Anforderungen an Umwelt und Ernährung unberücksichtigt bleiben, verdrängen nicht nur exakt denkende Wissenschaftler ebenso wie
die breite Öffentlichkeit, sondern auch viele Betroffene selbst. Was mit der Nutzung des Feuers seinen Anfang nahm, "muss" auch in unserer Zeit Geltung behalten: Das bedeutet, alles was im weiten Rahmen Fortschritt, Komfort, Genuss
und Bequemlichkeit zu tun hat, kann und darf nicht als Ursache für Kopfschmerz und Migräne Anerkennung finden.
Oberflächlich betrachtet müsste man annehmen, dass die nur scheinbare "Sinnlosigkeit" des Kopfschmerzes vom Beginn der Nutzung des Feuers an dazu geführt haben müsste, dass dieses Schmerzsignal verkümmert und von der Bildfläche verschwindet. Doch Schmerzsignale
haben eines gemeinsam und das ist, dass sie bei andauernder Missachtung der verursachenden Einflüsse intensiver werden. Und genau diesen Einflüssen waren Menschen von da an im Übermaß ausgesetzt. Dazu kommt, dass die davon betroffenen
Artgenossen/Innen in keiner Zeit von einer Paarbildung und damit von der Vererbung ihrer Veranlagungen ausgeschlossen waren. Die Folge davon ist, dass die Palette von Spielarten in Bezug auf Symptomatik und Auslösefaktoren bis
in die heutige Zeit recht vielfältig geworden ist. So gesehen lässt sich die gegenwärtige Situation einschlägig betroffener Menschen auch als Folge einer Entwicklung sehen, die über das Ziel hinaus geschossen ist und damit als
Zeichen von Degeneration gelten könnte. Wäre sonst doch nicht möglich, dass an sich harmlose Einflüsse, wie beispielsweise Veränderungen der Wetterlage, intensive Gerüche oder auch Lichteffekte die Mechanismen zur Anfallsauslösung
in Gang setzen können.
Eine Überentwicklung hat aber auch bei den „handfesten“ Auslösern stattgefunden. Gibt es in unseren Tagen doch kaum noch Lebensbereiche, in denen wir nicht einer Unzahl von Einflüssen
ausgesetzt sind, die es während der allergrößten Zeit unserer Entwicklung nicht gegeben hat. Deswegen die Rückkehr in die Steinzeit zu fordern, steht außerhalb jeder Diskussion. Trotzdem wäre es angebracht, über unser Vorgeschichte
nachzudenken und von dieser Seite her jene Einflüsse, denen wir täglich ausgesetzt sind - vor allem in ihrer Summenwirkung - unter die Lupe zu nehmen und neu zu bewerten.
Für das „Phänomen Kopfschmerz“ und die Beurteilung einschlägiger Beschwerden kann das nur bedeuten, dass wir uns von althergebrachten Ansichten trennen müssen, um die derzeit zur Behandlung vorherrschende Symptombereinigung mit Hilfe chemischer Keulen durch gezielt einsetzbare und damit auch wirksame Vorbeugemaßnahmen ersetzen zu können. Dabei geht es nicht darum, die grundlegende Anfälligkeit auszumerzen, sondern um eine durch Dauer- und Überbelastung zustande kommende, ausufernde Schmerzbelastung auf ein erträgliches Maß zurück zu schrauben. Was dann noch an Beschwerden übrig bleibt, sollte mit den üblichen Schmerz- und Migränemitteln gut zu bewältigen sein. Für in diese Richtung dringend nötige Veränderungen wäre es sicher nicht notwendig meine Denkweise aufzugreifen. Notwendig wäre indes, die eingefahrenen „geltenden Meinungen“ mit vorhandenem Wissen aus der organischen Chemie ebenso wie aus der klinischen Toxikologie und der Umweltmedizin in Einklang zu bringen. Allein damit sollte eine unvoreingenommene Neuorientierung möglich sein, nicht nur zum Wohle einer großen und zunehmend schmerzgeplagten Bevölkerungsgruppe, sondern auch zum gesundheitlichen Nutzen aller Menschen...